Es braucht den Blick auf die Einzelnen – keine Gießkannenpolitik!

 

Die Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel, Sabine Werth, ärgert sich über undifferenzierte Aussagen in der Politik und Gießkannenpläne, die die Not der Einzelnen aus dem Blick verlieren. Ein Zwischenruf.

 

„Nein, ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen […] kommen wird“, so Bundeskanzler Olaf Scholz laut Tagesspiegel vom 17.8.22, „und zwar deshalb, weil Deutschland ein Sozialstaat ist.“

Als wir im Februar 1993 mit der Berliner Tafel begannen, war der Originalton der damaligen Kohl-Regierung (CDU und FDP)‚ es gäbe in Deutschland keine Armut, da wir in einem Sozialstaat leben und durch die Arbeitslosen-, die Renten- und die Krankenversicherung alles zum Leben abgedeckt sei.

Irre ich mich, oder ist da wirklich eine Parallele in den Aussagen zu erkennen?

Ja, wir leben in einem Sozialstaat, ja, wir können darauf nicht nur stolz sein, sondern darüber auch glücklich, denn im weltweiten Vergleich stehen wir noch relativ gut da. Aber was bedeutet das für die Einzelnen?

Seit Generationen wird per Gießkanne ‚Wohltat‘ über alle gegossen. Ob sie es brauchen oder nicht, alle profitieren. Aber ist es nicht viel wichtiger, die viel mehr zu entlasten, die es wirklich brauchen?

Benzin brauche ich nur, wenn ich mir ein Auto leisten kann, Mehrwertsteuer zahle ich nur, wenn ich noch in der Lage bin, einkaufen zu gehen, Einsparungen bei der Einkommenssteuer merke ich nur, wenn ich auch tatsächlich soviel verdiene, dass ich Steuern zahle. Diese Reihe ließe sich noch um einiges ergänzen. Wichtig ist mir aber zu betonen, dass wir als Nation nicht pausenlos unseren Sozialstaat als Begründung für oder gegen etwas vorgehalten bekommen sollten.

Mehr denn je geht es darum, diejenigen zu sehen, die Corona, Inflation, Kriegsfolgen massiv betreffen: die Armen und von Armut bedrohten Menschen. Und das sind inzwischen allein in Deutschland 13 Millionen.

Die Tafeln sind keine Lösung gegen Armut, das sollen sie auch gar nicht sein - aber unser fast 30 Jahre währender Einsatz für die Rechte derer, die immer wieder so gerne übersehen werden, geht weiter. In der Hoffnung, dass die Politik endlich begreift, dass manche Maßnahmen für manche ‚nice to have‘ sind, aber für andere überlebenswichtig.

 

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