Die Kritik an den Tafeln

Sozialreportagen und Wissenschaft
Angestoßen wurde die breite Debatte über die Tafeln von Professor Stefan Selke. Er veröffentlichte im Jahr 2008 das Buch „Fast ganz unten. Wie man in Deutschland durch die Hilfe von Lebensmitteltafeln satt wird“. Inzwischen bildet das Thema seinen Forschungsschwerpunkt, er hat bereits Nachfolgebände herausgegeben und verantwortet die Plattform www.tafelforum.de.

Die Berliner Tafel ärgert sich zwar über manches übertriebene Argument, manche verkürzte Darstellung. Zugleich stellt sie sich jedoch der Kritik und setzt sich mit ihr auseinander. Daher ist Sabine Werth auch der Einladung Professor Selkes in den Beirat zum Projekt „Tafelmonitor“ gefolgt. Sie diskutierte mit ihm mehrere Male öffentlich und bringt sich auch im Bundes- und Landesverband der Tafel in die Debatte ein. Allerdings hat Sabine Werth aufgrund der zunehmenden schwarz-weiß Malerei und des einseitigen Fokus auf die Tafeln statt auf die gesellschaftspolitischen Zustände ihre Mitgliedschaft beim "Kritischen Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln" im November 2012 aufgekündigt. Die konstruktive Debatte aber geht weiter.

Einige der wichtigsten Kritikpunkte und die Haltung der Berliner Tafel dazu:

Durch die verlässliche Versorgung armer Menschen würden diese „ruhig gestellt“, zu Demut und Bescheidenheit erzogen. Armut werde nicht bekämpft, sondern verfestigt. Der Staat könne sich beruhigt zurücklehnen.

Die Berliner Tafel meint: Das eine tun und das andere nicht lassen. Lebensmittel vor dem sinnlosen Abfalltod bewahren, Menschen mit wenig Geld das Leben erleichtern und gleichzeitig immer wieder den Finger in die Wunde legen. Die Tafel will nicht die Lösung des Problems sein, sondern nur ein Übergang zu einer gerechteren Gesellschaft.
Nur gerüchteweise hat die Berliner Tafel davon erfahren, dass Jobcenter die Auszahlung von Bezügen verzögerten und erklärten „Gehen Sie doch zur Tafel!“. Sollte das so sein, wird die Berliner Tafel diesen Skandal öffentlich machen. Und sollte die Politik versuchen, die Tafel-Spenden auf Hartz IV anzurechnen, würde die Berliner Tafel sofort ihre Arbeit einstellen.
Für ein Gerücht hält die Berliner Tafel aber auch, dass Menschen durch die Hilfe ruhig gestellt würden, nicht mehr aufbegehren würden. Vielmehr treffen sie in den Ausgabestellen auf offene Ohren, bekommen Tipps und Unterstützung, tauschen sich aus, helfen zum Teil selbst mit und viele gewinnen wieder mehr Selbstbewusstsein.

Menschen, die keine echte Wahl haben, als Kundinnen und Kunden zu bezeichnen sei beinahe zynisch und beschönige die Realität.

Die Berliner Tafel meint: Wie denn nun die Menschen heißen, die sich bei der Tafel mit Lebensmitteln versorgen, ist tatsächlich schwierig. Sie Kundinnen und Kunden zu nennen, soll die Wertschätzung ihnen gegenüber ausdrücken, ist aber natürlich angesichts der begrenzten Auswahl und Menge an Lebensmitteln nur eine Krücke. Ist der Begriff Bedürftige besser? Korrekter wäre dann: Finanziell Bedürftige. Oder Menschen mit wenig Geld. Arme?
Wichtig ist im Alltag der Tafelarbeit, die Menschen tatsächlich Wertschätzung spüren zu lassen und sich für mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft einzusetzen, statt sich über Begriffe zu streiten.

Die Kluft zwischen Ehrenamtlichen und Bedürftigen soll aufrechterhalten werden. Damit die einen sich wichtig fühlen können, müssen die anderen Almosenempfänger bleiben.

Genau das will die Berliner Tafel nicht. Das Besondere der Tafelarbeit ist, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft begegnen, einander kennen lernen, miteinander arbeiten und voneinander lernen. In allen Bereichen der Berliner Tafel arbeiten Gutverdienende mit Geringverdienenden oder Hartz IV-Beziehenden zusammen und das ist gut so.

Wer in eine Ausgabestelle geht, muss zunächst Schlange stehen, seine Bedürftigkeit nachweisen und eine Münze zahlen. Wer den Regelkatalog nicht befolge, sich den engen Zeitvorgaben nicht unterwerfe, müsse mit Ausschluss rechnen. All das lasse wenig Platz für die Würde der Menschen.

Die Berliner Tafel meint: In der Tat haben die Tafeln Regeln und achten auf die Einhaltung. Sie fordern eine symbolische Münze, denn die Erfahrung lehrt: Was etwas kostet, ist auch etwas wert.
Leider gibt es immer wieder Menschen, die versuchen, Waren bei der Tafel zu bekommen, obwohl sie genug Geld haben. Damit die Hilfe wirklich bei denen ankommt, die sie gut gebrauchen können, muss die Bedürftigkeit nachgewiesen werden.
Dass Menschen auf der Straße Schlange stehen, kommt auch vor bei den 46 Ausgabestellen von LAIB und SEELE, der Aktion von Berliner Tafel, Kirchen und rbb. Nach Möglichkeit aber werden geschützte Warteräume und auch mal eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen geboten.
Die Balance zwischen nötiger Kontrolle, der Logistik einer Ausgabestelle und der Würde der Einzelnen wird immer eine schwierige Aufgabe bleiben.

Zudem gerieten die Tafeln in Abhängigkeit der großen Konzerne, die wiederum Entsorgungskosten sparten und Gewinn machten, weil die Tafeln ihnen die Reste abnehmen.

Die Berliner Tafel meint: Bei Lichte betrachtet ist jede Spende anonym und kann immer auch als Ablasshandel diffamiert werden. Aber die große Zahl kleiner Spenden, die Solidarität vieler Berlinerinnen und Berliner – nicht nur zu Weihnachten – gibt der Tafel erst ihre Unabhängigkeit von Wirtschaft und Politik, die sie als gesellschaftspolitische Kraft stark macht.
Dass die Unternehmen Entsorgungskosten sparen stimmt. Genauso wahr ist jedoch auch, dass sie durch die Tafeln gemerkt haben, wie schlecht sie früher die Warenmengen kalkulierten. Nun wird insgesamt weniger weggeworfen. Auch das ist ein Gewinn – für die gesamte Gesellschaft.

Der erbitterte Kampf um Namensrechte zeige, dass es der Tafel um eine Bereinigung des Marktes gehe. Die Tafel wolle sich als führende Organisation zur Armutsbekämpfung etablieren.

Die Berliner Tafel meint: Es geht nicht darum, andere zu bekämpfen oder „vom Markt zu verdrängen“. Vielmehr sollen die Spendenden vertrauen können, dass Tafel drin ist, wo Tafel draufsteht, dass Regeln eingehalten und die Waren möglichst gerecht verteilt werden.
Eine kleine Geschichte dazu am Rande: In seinem ersten Buch über die Tafeln in Deutschland schreibt Professor Selke, wie er auf die Tafelarbeit aufmerksam wurde. Im Radio hörte er, dass in Kenia Kaffee für Bedürftige in Deutschland gesammelt und in Berlin verteilt worden war. Obwohl es sich um einen Diakonie-Laden handelte, war die Assoziation zur Berliner Tafel und zu Suppenküchen für Obdachlose nicht weit. In Professor Selke kam der Verdacht auf, dass in unserer Gesellschaft etwas grundsätzlich nicht stimme (Selke, „Ganz unten“, 2008, S. 12 f.). Und so begann er, bei einer Tafel mitzuarbeiten und sie zu erforschen.
Diese Kaffee-Spende – anders als sich Prof. Selke erinnert, fand sie nicht 2004, sondern 2005 statt – hat die Berliner Tafel damals schon geärgert. Denn der PR-Effekt für die Einrichtung, die sie entgegennahm, war enorm – der angerichtete Flurschaden jedoch noch größer. Selbst in Kanada wurde eine Tafel-Ehrenamtliche, die dort ihren Urlaub verbrachte, damit konfrontiert, dass Berliner ja ärmer seien als Afrikaner. Dafür auch noch mit ihrem guten Namen gerade stehen zu sollen, wäre ein wenig viel verlangt von der Berliner Tafel.

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